Wenn das Projekt aus den Fugen gerät
Scope Creep: Wenn das Projekt aus den Fugen gerät
Zusammenfassung
„Scope Creep“ beschreibt die unkontrollierte Ausweitung des Projektumfangs, die oft durch zusätzliche Anforderungen ausgelöst wird. Dieses Phänomen führt zu Verzögerungen in Zeit und Budget und einer Überlastung des Teams. Aber man kann dagegen angehen.
Was ist ein Scope Creep?
Ich stelle ihn mir als ein riesiges flauschiges Etwas vor, den man mal knuddeln, aber der einem meistens fruchtbar auf die Nerven gehen kann.
Stell dir vor: Du hast ein riesiges Bücherregal. Du hast einen klaren Plan: An diesem Samstagmorgen Bücher raus, Staub entfernen, Regal auswischen, Lampen anbringen (die das ganze Bücherregal von oben anleuchten), Bücher wieder rein, fertig. Aber dann denkst du: „Wenn ich schon mal dabei bin, könnte ich ja auch mal sehen, dass ich ein paar Bücher aussortiere, der hiesigen Bibliothek spende und gleichzeitig Platz für neue Bücher schaffe.“ Und da steht das flauschige Etwas und klappert mit seinen flehenden Augen. Und dann, „Das Buchgeschäft hat ja noch offen, ich kann gleich losziehen und die fünf Bücher kaufen, die mir eingefallen sind, als ich heute über mein Bücherregal nachgedacht habe.“ Ehe du dich versiehst, ist aus einem Samstagmorgenprojekt ein Ganztagsprojekt geworden, das mehr Zeit und mehr Budget in Anspruch nimmt. Und das flauschige Etwas grinst mich an.
Der Begriff
Scope Creep! Dieses Phänomen ist in der Projektarbeit weit verbreitet und kann selbst die bestgeführten Projekte zum Scheitern bringen. Das PMI (Project Management Institute) geht davon aus, dass 52% der Projekte mit einem Scope Creep kämpfen.
Der Begriff Scope Creep (freiübersetzt mit „Funktions-/ Umfangserweiterung“) beschreibt die unkontrollierte Ausweitung des Projektumfangs. Am Anfang gibt es eine klare Definition dessen, was das Projekt leisten soll und was nicht – das wäre der Idealzustand. Das ist der sogenannte Scope. Scope Creep tritt auf, wenn im Laufe des Projekts immer mehr zusätzliche Funktionen, Anforderungen oder Aufgaben hinzugefügt werden, die ursprünglich nicht geplant waren.
Der Projektumfang wächst dabei oft in kleinen, unscheinbaren Schritten und das flauschige Etwas wird immer größer. Ein Stakeholder bittet um eine „kleine Änderung hier“, ein anderes Teammitglied schlägt eine „coole neue Funktion“ vor, und ehe man sich versieht, hat sich der ursprüngliche Plan in Luft aufgelöst. Das Problem dabei: Jede dieser kleinen Änderungen hat Konsequenzen. Sie kostet Zeit, Geld und Ressourcen und kann das gesamte Projekt gefährden.
Warum passiert Scope Creep?
Die Gründe für Scope Creep sind vielfältig und oft menschlicher Natur:
- Mangelnde klare Projektdefinition. Wenn der Projektumfang von Anfang an vage oder unklar ist, ist es leicht, neue Dinge hinzuzufügen. Eine präzise und detaillierte Scope-Definition, die von allen Beteiligten verstanden und akzeptiert wird, ist der beste Schutz.
- Unerwartete Anfragen von Stakeholdern. Kunden, Manager oder andere Stakeholder sehen im Laufe des Projekts oft neue Möglichkeiten und wünschen sich Änderungen. Häufig werden diese Anfragen mit „Das ist doch nur eine Kleinigkeit!“ begründet.
- Gold Plating. Das ist ein Spezialfall des Scope Creep, bei dem das Projektteam selbst zusätzliche, nicht angeforderte Funktionen hinzufügt. Aus dem Wunsch heraus, ein perfektes oder besonders beeindruckendes Produkt abzuliefern, werden oft Features eingebaut, die niemand wirklich braucht. Das ist häufig bei technikaffinen Teams zu beobachten, die die neuesten Technologien unbedingt einsetzen wollen.
- Kommunikationsprobleme. Wenn die Kommunikation zwischen dem Projektteam und den Stakeholdern nicht funktioniert, können Missverständnisse entstehen. Ein falsches Verständnis der Anforderungen kann dazu führen, dass unerwünschte oder zusätzliche Funktionen entwickelt werden.
- Menschliche Faktoren. Der Wunsch, den Kunden glücklich zu machen ist verständlich und menschlich, öffnet dem Scope Creep jedoch die Türen. Auch der mangelnde Mut der Konfrontation ist diesem inhärent.
Die Folgen
Die Folgen von Scope Creep sind selten positiv. Ein Projekt, in dem sich der Scope Creep eingschlichen hat, kämpft fast immer mit denselben Problemen:
- Verzögerungen. Jede neue Anforderung braucht Zeit. Das geplante Enddatum kann nicht mehr gehalten werden, was zu Frustration bei allen Beteiligten führt.
- Budgetüberschreitungen. Mehr Arbeit bedeutet höhere Kosten. Das geplante Budget reicht nicht mehr aus, um das Projekt abzuschließen.
- Überlastung des Teams. Das Team muss plötzlich mehr leisten als ursprünglich geplant. Das führt zu Stress, Überstunden und im schlimmsten Fall zu Burnout.
- Qualitätsverlust. Um die neuen Anforderungen noch irgendwie zu bewältigen, müssen oft Kompromisse bei der Qualität gemacht werden. Die Arbeit wird gehetzt, Tests werden vernachlässigt. Am Ende steht ein Produkt, das zwar mehr Funktionen hat, aber dafür voller Fehler steckt.
- Projektabbruch. In extremen Fällen kann Scope Creep so gravierend sein, dass das Projekt völlig unkontrollierbar wird. Manchmal bleibt dann keine andere Wahl, als es komplett abzubrechen.
Der richtige Umgang mit Scope Creep
Was macht man also, wenn der Scope Creep am Schreibtisch steht und an deinen Plänen rüttelt? Auch wenn nicht alle Ideen für eine Projekterweiterung schlecht sind, man muss sie richtig handhaben. Es gibt klare Strategien, um ihm entgegenzuwirken:
- Klare Projektdefinition von Anfang an. Bevor der erste Handgriff getan wird, muss der Projektumfang schriftlich fixiert werden. Ein sogenanntes Scope Statement/ Anforderungskatalog oder eine ähnliche Dokumentation definiert genau, was zum Projekt gehört und, ganz wichtig, was nicht. Dieses Dokument sollte von allen wichtigen Stakeholdern unterschrieben werden, bestenfalls Teil des Projektauftrages/ Projektvertrages sein.
- Robuster Änderungsmanagement-Prozess/ Change Management. Anfragen für neue Funktionen oder Änderungen werden nicht einfach „mal so“ akzeptiert. Es sollte einen klaren, formalen Prozess geben. Jede Anfrage wird bewertet: Welche Auswirkung hat sie auf Zeit, Kosten und Ressourcen? Diese Bewertung wird dann den Stakeholdern präsentiert, die entscheiden müssen, ob sie die zusätzlichen Kosten und Verzögerungen in Kauf nehmen wollen oder ob es Teil eines neuen Projektes sein kann.
- Kommunikation. Regelmäßige Meetings mit allen Stakeholdern sind entscheidend. Der Projektmanager muss den Fortschritt transparent machen und frühzeitig kommunizieren, welche Auswirkungen Änderungen haben könnten. So werden alle auf dem Laufenden gehalten und Missverständnisse vermieden.
- Das Team schützen. Als Projektleiter ist es deine Aufgabe, dein Team vor unkontrollierten Anforderungen zu schützen. Sei der Puffer zwischen dem Team und den Stakeholdern. Erinnere sie daran, dass der Fokus auf dem liegt, was zu Beginn vereinbart wurde.
Quintessenz
Scope Creep schleicht sich langsam und unauffällig ein und kann die besten Pläne zum Scheitern bringen. Die gute Nachricht: Mit einer klaren Definition, einem robusten Prozess und offener Kommunikation kannst du diesen Projektstörenfried in Schach halten. Wichtig sind Grenzen und ein stabiler Projektumfang – egal, ob es um dein Bücherregal geht oder die Entwicklung einer komplexen Software geht.
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